Pannonien - von den Römern zu den Magyaren
In
den Jahren 35 - 34 v. Chr, während des ersten Pannonischen
Feldzuges des Octavian, des späteren Kaisers Augustus, kam die
hiesige Bevölkerung zum ersten Mal mit Roms Legionen in
Berührung. Erst in den Jahren 13 bis 9 v. Chr. wurde von einem
Feldherrn des Augustus das Land zwischen den Ostalpen, der Donau und
der Save endgültig besetzt, die neue römische Provinz
Pannonien war entstanden. Um 15 n. Chr. begann auf dem Gebiet des
heutigen Budapest der Ausbau des römischen Militärlagers
Aquincum.
Das
Schicksal Pannoniens war bis zum fünften Jahrhundert eng mit der
des Römischen Reiches verknüpft. Ein gut ausgebautes
Straßennetz verband die sechsundzwanzig Städte und vielen
ländlichen Siedlungen der zuletzt in vier Verwaltungsbezirke
geteilten Kolonie.
Eine Vielvölkerschar römischer Bürger
mischte sich mit den einheimischen Erawiskern und später auch mit
den östlich der Donau lebenden Barbaren, die während der
langen Friedenszeiten die Märkte, Bäder und Theater der
Städte nutzten. Der Fluß blieb Grenze des Reiches.
Söhne und Töchter von Sarmaten, Germanen und Alanen
ließen sich immer wieder in der Provinz nieder. Durch die Wahl
des Decius, eines Mannes pannonischer Herkunft zum Kaiser im Jahre 249
erreichten Wohlstand und Stabilität einen Höhepunkt.
Rückschläge erfolgten später durch den heftigen Ansturm
der Völkerwanderung und den Höhepunkten der
Christenvervolgung unter Kaiser Diocletian. Besonders in Aquincum leben
bereits sehr viele Christen. Ihre Priester und Bischöfe wurden
hingerichtet. Zu dieser Zeit begann auch der langsame Verfall des
Landes. Obwohl die Kaiser durch Anordnung neuer Bautätigkeit der
Grenzanlagen diesen Prozeß aufzuhalten gedachten, endete am
Anfang des vierten Jahrhunderts die Blütezeit Pannoniens
endgültig.
Zunächst
wurde das Land von durchziehenden germanischen Stämmen
heimgesucht, danach fielen die Hunnen über das Land her. Nach dem
großen Erdbeben im Jahre 456 wurde Pannonien von den Ostgoten
besetzt, damit war das Ende der römischen Verwaltung gekommen. Auf
die Ostgoten folgten verschiedene Halbnomaden, die neben der Viehzucht
bereits Ackerbau betrieben. Von einiger Dauer war lediglich die
Anwesenheit der Awaren. Ihr Stammesverband wurde um 800 von Karl dem
Großen geschlagen. Nach dem Tode des Kaisers lösten sich
weite Teile des Landes vom Frankenreich. Slawen, die sich in dem Gebiet
niederließen füllten das Machtvakuum auf. Ihr
Stammeshäuptling Swatopluk wurde im 9. Jahrhundert Fürst des
Größmährischen Reiches. Er war Lehnsmann des
ostfränkischen Königs Karlmann. Dessen unehelicher Sohn,
Arnulf von Kärnten, rief die Ungarn zur Hilfe, um die
Souveränität Ostfrankens an den Ostgrenzen des Reichs in der
Form, wie sie unter Karl dem Großen bestanden hatte,
wiederherzustellen
Landnahme, vom Schrecken Europas zur Integration
Der
unter dem Namen Ungarn bekanntgewordenen Stammesverband , aus
verschiedenen Völkerschaften asiatischen Ursprungs bestehend, von
einer ungarischen Elite dominiert, lebte östlich des
Karpathenbogens und zum Teil auf dem nördlichen Balkan an der
Grenze zu Byzanz. Im Gebiet zwischen Dnjestr und Pruth gewann dieses
Völkergemisch unter dem Stammeshäuptling Árpád
feste Struktur. Die Ungarns wurden Verbündete Arnulfs. Im Jahre
895 überrannten sie das immer noch bestehende
Großmährische Reich und besetzten Pannonien.
Die
Ursachen für die Metamorphose des Volkes sind vielfältig. Die
ungarische Oberschicht war dabei, sich am karolingischen Muster zu
orientieren. Nach ihren Vorstößen bis Spanien, an die
Rheinmündung, nach Süditalien und an die Grenzen der
Stadt Byzanz und ihrer Niederlage im Jahre 995 auf dem Lechfeld in der
Nähe Augsburgs beschlossen sie dem europäischen Vorbild zu
folgen.
Der Stammeshäuptling Géza ließ sich um 995
zum Christentum bekehren, sein Sohn Wajk hieß von nun an Stephan.
Er bat Papst Sylvester um eine Krone, um den übrigen katholischen
Herrschern gleichgestellt "von Gottes Gnaden" zu regieren. Mit der
Krönung Stephans im Jahre 1000 war Ungarn als Staat in Europa
integriert. Der Entschluß den römischen Katholizismus und
nicht die byzantinische Form des Christentums anzunehmen war für
die westliche Orientierung des neuen Staates entscheidend. Stephans
zweite Frau war Gisela von Baiern, sein Nachfolger - Sohn seiner
Schwester, die den Dogen von Venedig geheiratet hatte - hieß
Pietro Orseolo. 1102 war das benachbarte Königreich Kroatien ohne
Herrscher. Die dortigen Magnaten entschieden sich nicht für einen
Nachfolger, sondern schlossen sich ihrem ungarischen Nachbarn an. Bis
1918 bildete das Land mit Ungarn eine Einheit - abgesehen von der
türkischen Periode.
Unruhige Zeiten und große Könige
Könige
hatten um die Jahrtausendwende keine Residenzstadt. Auch die
ungarischen Könige zogen im Land umher. Einzig
Szekesfehérvár spielte eine herausragende Rolle als
Krönungsort der Herrscher. Doch der Mongoleneinfall des Jahres
1241 erforderte eine neue Ordnung. Die Dörfer und Städte des
flachen Landes waren Ruinen, Óbuda und Pest von den Mongolen
verwüstet. Kundschafter brachten Berichte über einen zweiten
Feldzug der Mongolen. Die Ungarn befanden sich nun in der selben Lage,
in der sich drei Jahrhunderte zuvor die von ihnen angegriffenen Franken
und Baiern befunden hatten. Nur feste Burgen, geräumig genug um im
Notfall die Bevölkerung einer ganzen Stadt aufnehmen zu
können, vermochten den berittenen Mongolenscharen zu trotzen
und den Bestand des Königreiches zu sichern. Budapest begann die
Rolle einer Hauptstadt zu spielen. König Béla IV (1235 -
70) setze alles daran, Burgen und Stadtmauern errichten zu lassen.
Hiervon können auch im Somogy Überreste besichtigt werden.
Der zweite Angriff der Mongolen erfolgte tatsächlich im Jahre 1285
und konnte abgewehrt werden.
Nach
dem Aussterben der Árpáden im Jahre 1301 gelang es
Angehörigen des Hauses Anjou, sich den Thron zu sichern.
Allerdings war dieses keine dauerhafte Dynastie. Unter der Regentschaft
des böhmischen Königs und deutschen Kaisers Sigismund von
Luxemburg (1387 - 1437) wurde die Region wieder einmal vereint, zum
ersten Mal unter Beteiligung der Ungarn. Bis heute bezeugen
Baudenkmäler vor allem in der Hauptstadt von der Blüte der
Kunst in der Periode Sigismunds. Die Gotik hielt einen kurzen, aber
kräftigen Einzug ins Land. Leider verfiel das Land nach Sigismunds
Tod wieder internem Machtkämpfen anheim.
Mit dem Thronantritt des
Königs Matthias I Corvinus (1458 - 90) erlebte das Land nach den
Jahrzehnten der Wirren wieder einen deutlichen Aufstieg. Matthias,
Enkel eines kleinen rumänischen Edelmannes und Sohn des Feldherrn
und Reichsverwesers János Hunyadi, war ein großer
Erneuerer. Italien war sein Vorbild, auch seine Königin war
italienischer Herkunft. Der Renaissanceherrscher war ein großer
Bauherr, weite Teile seiner Residenz in Buda sind erhalten, Freitreppen
aus rotem Marmor, mit Reliefs geschmückte Springbrunnen, noble
Räumlichkeiten für die berühmte Bibliotheca Corviniana,
eine Werkstatt für Bildhauer, raffiniert angelegte Lustgärten
bezeugen die Macht einer starken Phantasie und das
Durchsetzungsvermögen des Königs. Dieser Herrscher ist bis
heute in guter Erinnerung der Menschen geblieben. Auf Matthias folgte
das glücklose Zwischenspiel der Jagellonen. Die Armeen
des Osmanenreiches, von János Hunyadi und Matthias erfolgreich
abgewehrt, standen weiter drohend vor der Südgrenze. Soziale
Spannungen verursachten Tumulte und im Jahre 1514 einen Bauernaufstand
unter Dózsa, der äußerst blutig niedergeschlagen
wurde und geradezu zu einer Versklavung der Landbevölkerung
führte. Ludwig II Jagello, mit einer Habsburgerin verheiratet,
führte 1526 das kleine ungarische Adeligenheer gegen die
anrückende, gut organisierte, Streitmacht der Türken und
erlitt eine katastrophale Niederlage. Der König fiel in der
Schlacht, das Heer wurde vollständig aufgerieben. Obwohl die
Türken nach der verherenden Schlacht von Mohacs zunächst
Ungarn nicht annektierten schafften es die Ungarn nicht ihnen erneut
etwas entgegen zu setzen, niemand wurde gefunden erneut für das
Land zu kämpfen..
Geteiltes Land unter fremden Herren
Die
Zeit der Eroberung war eine Zeit der des äußerst
hartnäckigen Widerstandes und ebenso gewaltsamen Auftretens der
Besatzer. Hier führte nicht nur ein Staat einen Eroberungskrieg
gegen einen anderen, wie es zu jener Zeit an der Tagesordnung war, hier
trafen höchst unterschiedliche Kulturen und - was wahrscheinlich
noch ausschlaggebender war - höchst unterschiedliche Religionen
aufeinander.
Auch wenn das Osmanische Reich damals ein
außerordentlich hoch organisiertes Staatswesen war konnte Ungarn
nicht in einem Stück unterworfen werden, dazu war selbst der
hochgerüstete Militärapparat nicht in der Lage. Die
Unterwerfung erfolgte im Zweifelsfall Ortschaft für Ortschaft. In
anderen Fällen wurde ein Vasall aus dem unterworfenen Staat zur
Regentschaft angewiesen. So herrschte der Wojwode von Siebenbürgen
János Zápolya zunächst auch über Zentralungarn.
Erst nach seinem Tod rückten die Türken in Budapest ein,
obwohl Kaiser Ferdinand versuchte die ihm zugefallenen Rechte an der
ungarischen Königskrone geltend zu machen. Diesem gelang es nur
zum Teil seine Erbrechte umzusetzen. Ein Streifen Ungarns entlang der
Grenze zu Österreich und Oberungarn, etwa die heutige Slowakei,
wurden im Namen Ferdinands von Pozsony aus regiert, dem heutigen
Bratislava. Im Osten blieben die Ungarn unabhängig,
Siebenbürgen wählte die Partnerschaft mit den Osmanen.
Sehr
viele Ungarn flohen in die Gebiete, in denen die Türken nicht
herrschten, an ihrer statt kamen neben vielen Kroaten, Serben und
Bosniaken auch Einwanderer aus entfernten Teilen des Osmanischen
Reiches. Selbstverständlich wurden an den neuralgischen Stellen
des Staatsapparates loyale Türken installiert. Abhängig von
den jeweils Verantwortlichen wurde das Land ausgebeutet oder auch
für die Verhältnisse der Zeit überaus korrekt verwaltet.
Hauptsächlich in den großen Städten bauten die
Türken eine Infrastruktur nach den eigenen Bedürfnissen, bis
heute zeugen davon Moscheen, Minarette und die berühmten
türkischen Badehäuser in Budapest. Von den türkischen
Befestigungsanlagen ist praktisch nichts mehr erhalten. Das geistige
Leben erfuhr neue Impulse, lebendig ist heute vor allem noch die
Erinnerung an die türkische Gartenkultur. Die von den Türken
eingeführten Obst- und Gemüsesorten, Pfirsich, Paprika und
Tomate trugen zur Verfeinerung der Küche bei und sind bis heute
aus dem täglichen Leben nicht mehr wegzudenken - ganz zu schweigen
zum Kaffee, ohne den das Leben in Ungarn undenkbar wäre.
Warum
Sultan Mohammed IV die Eroberung Wiens in de Wege leitete ist nicht
vollständig geklärt. Neben innenpolitischen Schwierigkeiten,
von denen es abzulenken galt, spielte wohl das Auftreten eines gegen
Habsburg kämpfenden Freischärlerheeres unter Imre
Thököly wohl eine gewisse Rolle. Im Jahre 1683 stand das
osmanische Heer zum zweiten Male vor den Toren Wiens.
Die Habsburg - Befreier, ungarische Könige oder Kolonisatoren?
Die
Türken hatten einerseits die militärische Stärke des
Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation stark
unterschätzt, andererseits nicht mit der breiten europäischen
Unterstützung für den Entsatz von Wien gerechnet. Das
Resultat war nicht nur eine vernichtende Niederlage des osmanischen
Heeres vor Wien, sondern der Anfang vom Ende der türkischen
Vorherrschaft im Südosten Mitteleuropas. Im Rest des Jahrhunderts
wurde ganz Ungarn zurückerobert und Habsburg stand in Belgrad.
Durch die Eroberungszüge der Habsburger wurden wiederum
Völkerscharen auf die Flucht geschlagen. Neben den hier
angesiedelten Türken flohen auch sehr viele zum Islam konvertierte
Ungarn. Wiederum waren ganze Landstriche entvölkert. Hier
siedelten die neue Herren Maria Theresia, wie auch ihr Vater Kaiser
Karl - wie gehabt - Bewohner aus ihrem Stammland an, die Habsburger
jetzt aus ihren Schwäbischen Ländereien. Bis heute sind die
Schwaben eine erhebliche Minderheit in Ungarn.
Die
Mehrzahl der Ungarn hieß die neuen Herren aus Wien willkommen. Es
gab daher auch keine Probleme die Habsburger entsprechend der Erbfolge
von 1526 als ungarische Könige im Landtag zu bestätigen. Die
Habsburger konnten zufrieden sein mit ihren Ungarn. Es schien daß
sie ein Land erobert hatten, das zwischen den österreichischen
Stammland und den gefürchteten Türken lag - obwohl deren
Gefahr gebannt war - und neben einem schönen Titel einen
deutlichen Machtzuwachs vor der eigenen Haustür bedeutete.
In
dieser Hinsicht sicherte Ungarn die Vormachtstellung Habsburgs in
Deutschland. Jedoch besondere Förderung erfuhr das Land nicht.
Dort wo aus Glaubensgründen die Kalvinisten Ungarns den
erzkatholischen Habsburgern wenig Vertrauen entgegenbrachten traten
diese als Besatzer auf. Dort wo strategisch Festungen als weniger
notwendig erachtet wurden hat man sie vorsichtshalber aus Sorge vor
Aufständen geschleift, bemannen konnte man nicht alle. Nicht
ohne daß diese Sorge unbegründet gewesen sei. In den Jahren
1703 bis 11 versuchte Ferenc Rákóczi den Habsburgern den
Machtanspruch in Siebenbürgen streitig zu machen. Auch wenn die
Habsburger mit den Unabhängigkeitskämpfern nicht so ein
leichtes Spiel hatten wie mit den Türken scheiterte der Aufstand.
Es
dauerte ein Jahrhundert bis sich das Land von türkischer
Herrschaft und 8 habsburgischer Eroberung erholt hatte. Die Periode der
französischen Revolution berührte Ungarn wenig. Im 19.
Jahrhundert befand sich Ungarn in einem geistigen Aufbruch. Genialer
Neuerer dieser Zeit war István Graf Széchenyi. Er
initiierte nicht nur den ersten Brückenschlag zwischen Buda und
Pest, die berühmte Kettenbrücke, sondern auch die Akademie
der Wissenschaften, die Schiffbarmachung des Eisernen Tores und
anschließend der Dampfschiffahrt auf der Donau und vielem
mehr. Der Handel bekam internationale Dimensionen, viele Fabriken
wurden gegründet. Ein Gesetz aus dem Jahre 1840 erlaubte die freie
Anstellung angelernter Fabrikarbeiter, damit war die Hegemonie der
Zünfte gebrochen. Im Jahre 1831 wurde die Pester Handelshalle, die
Vorgängerin der späteren Waren- und Effektenbörse
gestiftet. Zehn Jahre später nahm die Pester Kreditbank ihre
Arbeit auf. Neu gegründete Druckereien, Buchverlage,
Buchhandlungen, Tageszeitungen und Zeitschriften ließen eine am
Modernen orientierte Leserschaft entstehen. Vom Reformeifer und dem
Bestreben nach einer nationalen Identität wurden auch die
deutschen, jüdischen und slawischen Teile des Bürgertums
erfaßt. Man fand sich auf dem gemeinsamen Nenner eines liberal
gesinnten ungarischen Patriotismus. Zu den Kaffeehäusern und
Restaurants, in denen man sich treffen konnte, gesellten sich in
Vereinen organisierte intellektuelle Zirkel und Debattierclubs.
Auf dem Weg zur neuen Unabhängigkeit
Die
Zeit der Reformen bewirkte grundlegende Änderungen. Sie
entwickelten eine Eigendynamik, die stärker und schneller als die
mühsame, durch legistische Kleinarbei
t gebremste Umformung des
politischen Systems. Die Spannung entlud sich am 15. März 1848.
Ohne Wissend er Zensurbehörde wurden das
Zwölf-Punkte-Programm des Pilvax-Kreises, einer Gruppe
jugendlicher Intellektueller, die im heute noch bestehenden Kaffeehaus
Pilvax debattierten, und Sándor Petőfis Gedicht "Nationallied"
gedruckt. Auf den Stufen des gerade neu errichteten Nationalmuseums
rezitierte Petőfi sein Gedicht und die zwölf Punkte wurden unter
der Bevölkerung verteilt.
In einer Zeit in der keinerlei
Meinungsfreiheit herrschte mehr als nur ein Affront gegen die
Herrschenden, wenngleich verglichen mit den gewaltsamen Ausschreitungen
anderswo während der Märzrevolutionen ein harmloses
Unterfangen. Der einzige direkte Effekt war die Freilassung des
inhaftierten Mihály Táncsics. Jedoch einige Abgeordnete
des ungarischen Landtags - der noch immer in Pozsony tagte - fingen den
Funken auf und es gelang ihnen dem Kaiser eine ungarische Regierung
abzutrotzen und einen neuen Landtag nach Pest einzuberufen.
Ministerpräsident wurde der aus einem südtransdanubischen
Adelsgeschlecht stammende Lajos Batthyány.
In
Wien herrschte im Namen des debilen Kaiser Ferdinand II der Fürst
von Metternich. Nach dem Wiener Kongreß hatte er in
Österreich dafür gesorgt, daß die absolutistische
Monarchie alle liberalen oder gar revolutionären Ideen im Keim
erstickte. Mit der Revolution in Wien fiel das System Metternich und
mit ihm der inzwischen völlig verwirrte Monarch. Frisches Blut
sollte das Kaisertum Österreich retten, gefunden wurde es im
jungen Kronprinzen Franz Joseph, der einer ganzen Epoche seinen Stempel
aufdrücken sollte. Mit gerade einmal 18 Jahren erklomm er in Wien
den Kaiserthron.
Franz
Joseph I probierte die Neuerungen, denen sein bedrängter Onkel
zugestimmt hatte, zurück zu drehen. Die Ungarn hatten darauf eine
deutliche Antwort, sie riefen am 14. April 1849 die Ungarische Republik
aus. Zum Präsidenten erwählten sie Lajos Kossuth. Franz
Joseph dachte nicht daran die Ungarn in die Unabhängigkeit zu
entlassen. Da er militärisch den Ungarn nicht gewachsen war rief
er seine russischen Verbündeten zur Hilfe, die der jungen Republik
ein gewaltsames Ende bereiteten. Sándor Petőfi fiel in der
Schlacht, der Ministerpräsident endete auf dem Schafott und
Präsident Kossuth floh ins Exil, in dem er 1894 starb, ohne
daß je nach Ungarn zurückkehren konnte. Die nächsten
Jahrzehnte wurde Ungarn zentral von Wien aus regiert, die nationale
Kluft im Vielvölkerstaat wuchs.
Erst
1867 gab es Ansätze zu einer moderaten Reform des Staates, den
Österreich-Ungarischen Ausgleich. Ungarn erhielt eine eigene
Regionalverwaltung und Kaiser Franz Joseph I ließ sich herab zum
König der Ungarn gekrönt zu werden. Die K&K Monarchie war
geschaffen, die Chance einen modernen Vielvölkerstaat zu schaffen
vertan, hatten nun zwei Völker eine Vorrangstellung - zwei von
sechzehn. Wirtschaftlich erlebte Ungarn schon seit Beginn des
Jahrhunderts einen steilen Aufsteig, die niedergeschlagene Revolution
konnte dem nur einen kleinen Dämpfer versetzten. Gerade durch die
Abhängigkeit von Österreich wollte man im internationalen
Vergleich um nichts zurückstehen. Nicht umsonst streiten sich die
Ungarn mit den Briten darum, wer das größte
Parlamentsgebäude der Welt hat.
Als
Teil der Doppelmonarchie nahm Ungarn natürlich an der Seite
Österreichs am Ersten Weltkrieg teil. Der Ausgang dürfte
jedem bekannt sein. Noch vor seinem Ende riefen die Ungarn zum zweiten
Male die Republik aus. Sie stehen damit in der Reihe der sich von
Österreich abspaltenden Staaten. Die Sonderrolle der Ungarn in der
K&K Monarchie bedeutete jedoch für die Ungarn von den Siegern
als Verlierer des Krieges gesehen zu werden, anders als beispielsweise
Tschechen und Slowaken. Mit dieser Legitimation wurde Ungarn auf ein
Rumpfgebiet zurückgeschnitten. Alle Gebiete mit gemischter
Bevölkerung kamen kurzerhand an die Nachbarstaaten. Das einst so
wichtige Siebenbürgen kam an Rumänien, Oberungarn ist heute
als Slowakei nach der Scheidung von den Tschechen ein
selbständiger Staat, das über 800 Jahre zuvor freiwillig in
Ungarn integrierte Kroatien kam unter die Herrschaft Serbiens, das als
Königreich Jugoslawien weiter bestand und so weiter. Ein Drittel
der Landmasse des K&K Ungarn mit etwa der Hälfte der
Bevölkerung wurde tatsächlich unabhängig.
Ein junger, alter Staat sucht seinen Weg
Die
gerade ausgerufene Republik unter der Regierung von Mihály
Grof Károlyi überlebte nur wenige Monate. Kommunistische
Räte rissen im Frühjahr 1919 die Macht an sich und wollten
nach Vorbild der Räterepubliken in Rußland und Bayern
herrschen. Sowohl die Tschechoslowakei als auch Rumänien sahen in
dem roten Regime in Budapest eine Gefahr für das eigene Land und
schickten ihre Armeen - nach dem Vorbild der Westmächte in
Rußland - gegen den neuen Staat. Was in Rußland nicht
gelang erreichten die Verbündeten aus Prag und Bukarest, die
Kommunisten wurden vertrieben. Ein halbes Jahr nach dem Entstehen der
Räterepublik besetzten königlich Rumänische Truppen
Budapest und Ungarn wurde wieder zur Monarchie.
Wurde
Ungarn zur Monarchie? Karl von Habsburg, der letzte K&K Monarch
versuchte zwei Mal wieder auf den ungarischen Thron zu steigen. Manche
hätten ihn gern gesehen, andere nicht, sowohl unter den neuen
Herren Ungarns, als auch unter den Siegermächten.
Unter denen die
ihn nicht wollten waren die Briten die Mächtigsten. König
Karl wollte es nicht zu erneuten Kämpfen kommen lassen und
verzichtete der Not gehorchend. Aber Ungarn blieb Monarchie - auf dem
Papier. Den Thron hielt man vakant. Dieses kam Miklós Horthy
nicht ungelegen. Er war früherer Konteradmiral der K&K Marine
und Flügeladjutant Franz Josephs. Er war nach dem Einmarsch der
Rumänen in der Hauptstadt der mächtige Mann. Er ließ
sich zum Reichsverweser ernennen und war damit Staatsoberhaupt. Er war
zentrale Person eines autoritären Regimes, das mit Hilfe eines
gewählten Parlamentes regierte. Dies waren jedoch nicht die
einzigen Widersprüchen des neuen Staates. Die Regierung
unterstützte die Industrialisierung des Landes, schuf aber nicht
die Randbedingungen einer Industriegesellschaft. Man suchte die
Nähe und Akzeptanz der gefestigten Demokratien, erwählte aber
die diktatorischen Regime Europas als Verbündete.
Neue Abhängigkeiten, neue Aufbrüche
Ungarn
hatte sich nicht damit abgefunden, daß große Teile des
Landes nach dem ersten Weltkrieg anderen Staaten zugeschlagen worden
waren. Man probierte Siebenbürgen von Rumänien zurück zu
erhalten. Ausgerechnet die Deutsche Regierung unter Hitler wurde zum
Schlichter des Streits. Siebenbürgen wurde wieder ungarisch, nur
um welchen Preis. Ungarn hatte sich faktisch in eine neue
Abhängigkeit begeben. Folgerichtig nahm das Land auch auf der
Seite der Achsenmächte am Zweiten Weltkrieg teil. Solange Horthy
ein treuer Partner blieb war durfte er Ungarn nach eigenem
Gutdünken regieren. Erst als Zweifel an seiner Bündnistreue
entstanden wurde Ungarn 1944 von deutschen Truppen besetzt. Als der
greise Horthy einige Monate später, an der ungarischen Grenze
standen sowjetische Truppen und amerikanische Bomben verwüsteten
die Städte, einen dilettantischen Versuch unternahm einen
Separatfrieden zu schließen wurde er kurzerhand von der SS
verhaftet. In Budapest übernahmen die Pfeilkreuzler die Macht,
eine paramilitärische Organisation der zukurzgekommenen
städtischen Bevölkerung nach dem Vorbild anderer
nationalsozialistischer Schlägertrupps. Terror herrschte in den
Straßen der Stadt, die von den Sowjets im Kampf Haus um Haus
genommen wurde.
Nach
dem Krieg - die Besatzer hatten gewechselt - machten sich die Ungarn an
den Wiederaufbau ihres Landes. 1946 fanden demokratische Wahlen statt.
Die Partei der Kleinlandwirte, Landarbeiter und Bürger errang die
absolute Mehrheit, abgeschlagen die Sozialdemokraten, die Kommunisten
und die Nationale Bauernpartei. Das Land machte sich auf in eine neue
Zeit, das Land wurde wieder zur Republik mit einem kalvinistischen
Geistlichen als Präsidenten und einem konservativen
Ministerpräsidenten. Jedoch dauerte diese Zeit nicht lange.
Außenpolitisch verschärfte sich die Situation, Moskau
probierte seinen Machtbereich zu festigen. Innenpolitisch sorgte dieses
entsprechend zu Spannungen. Wie in anderen Ländern auch wurden
Kommunisten und Sozialdemokraten zwangsvereinigt. Die von
Mátyás Rákosi dominierte neue Partei
schaffte es schließlich in verhältnismäßig kurzer
Zeit die übrigen politischen Gruppen des Landes aufzusplittern.
Gegen
führende Politiker der nichtkommunistischen Mehrheit, aber auch
Sozialdemokraten wurden Schauprozesse geführt.
Selbst die
kommunistischen Minister László Rajk und János
Kádár wurden Opfer der stalinistischen Säuberungen.
Rajk wurde gehenkt, Kádár zu lebenslanger Haft
verurteilt. Gewaltsam wurde die gesamte Wirtschaft enteignet, jeder
noch so kleine Bauernhof kollektiviert. Der Wiederaufbau des Landes
stagnierte, das Land verkehrte in einer allgemeinen geistigen,
politischen, wirtschaftlichen und menschlichen Krise. Nach dem Tode
Stalins und der veränderten Politik Chruschtschows brachen auch in
Ungarn die noch nicht so verkrustetes Strukturen auf. Imre Nagy wurde
Ministerpräsident. Er stammte zwar aus dem kommunistischen
Parteiapparat, war allerdings nicht Mitglied der stalinistischen Clique
um Rákosi. Dieser wußte jedoch die machtpolitischen
Schwankungen im Kreml für seine eigenen Zwecke zu nutzen. Schon
bald wurde Imre Nagy wieder aus dem Amt entfernt um die bankrotte
Diktatur fortzusetzen.
Die
Früchte der geringen Freiheiten wollte das Volk nicht aufgeben.
Gegen die Demonstranten rief der Nachfolger Imre Nagys sowjetische
Trupen zur Hilfe. So brach am 23. Oktober 1956 ein Volksaufstand los.
Mit Imre Nagy als Ministerpräsident wollte die Regierung in Ungarn
eine pluralistische Gesellschaft mit Mehrparteiensystem errichten.
Betriebe sollten sich durch Arbeiterräte selbst verwalten. Aus dem
Warschauer Pakt trat Ungarn aus. Einer der glühendsten Mitstreiter
war der aus der Haft entlassene frühere Innenminister János
Kádár.
Diesen Verlust eines Vasallenstaates
akzeptierte die Sowjetunion nicht. Mit Panzern wurde die friedliche
Revolution niedergewalzt, Imre Nagy nach Moskau verschleppt und zum
Tode verurteilt. Ausgerechnet János Kádár hatte
zur Rechtfertigung der Invasion die Sowjets "zur Hilfe gerufen".
Beinahe folgerichtig wurde er an die Spitze von Partei und Staat
gesetzt. Demokratieträume waren für lange Zeit
ausgeträumt, allerdings auch der Stalinismus war endgültig
vorbei. Nach einigen Jahren jedoch lockerte Kádár die
Zügel. Die Kommandowirtschaft wurde gemildert, private Initiativen
wurden in kleinerem Umfang erlaubt. Auch wurde mit der Devise "wer
nicht gegen uns ist mit uns" gesellschaftlich etwas mehr Freiheit
gewährt als in den übrigen Ländern hinter dem Eisernen
Vorhang. Der Gulaschkommunismus milderte die Situation, aber konnte
nicht über die zentralen Problem hinwegtäuschen.
Mit
der Situation in der Sowjetunion der ausgehenden 80er Jahren des
letzten Jahrhunderts, die ihren universellen Machtanspruch zugunsten
von gesellschaftlichen Reformen aufgegeben hatte und der
Weltwirtschaftskrise standen alle Länder des seinerzeitigen
Ostblocks vor schwer lösbaren Problemen. In manchen Staaten
probierte man die Probleme mit Gewalt zu lösen, wie in
Rumänien, in anderen am Verhandlungstisch. Ungarn gehörte zur
letzteren Gruppe. Reformkommunisten und Oppositionelle einigten sich
auf demokratische Wahlen. Dieses Mal hat das Experiment Demokratie
geklappt, József Antall wurde unter zum ersten demokratischen
Regierungschef gewählt. Mit schöner Regelmäßigkeit
wechselten bisher
alle vier Jahre die Mehrheitsverhältnisse und Regierungen. Die
Wirtschaft ist weitgehend privatisiert und Ungarn ist zurecht beliebt
bei ausländischen Investoren. Ungarn, seit einigen Jahren Mitglied
der NATO und wurde am 1. Mai 2004 in die Europäische Union
aufgenommen. Auch wenn noch einiges aufgeholt werden muß, so ist
Ungarn heute nach vielen Umwegen da angelangt wohin es ein Jahrtausend
zuvor unter König Stephan aufgebrochen war, integriert im Westen
Europas.